Wilhelm Friedrich Kärcher
- vom Zimmermann zum Missionar -
- von Mühlhausen in die Südsee -
kurze Biographie:
geboren: 27. Januar 1907 in Mühlhausen/Enz
gestorben: 22. Mai 1993 in Pforzheim-Eutingen
Mutter, Karolina (Lina) Katherina Kärcher, geb. Dieffenbach
Vater, Franz Georg Kärcher, Landwirt
gemeinsame Kinder: Karl, Wilhelm, Franz, Ernst und Frieda
1921
- beginnt eine Lehre zum Zimmermann bei der Firma Dieterich in Mühlacker
1930 (21. Oktober)
- Eintritt in das Seminar der Liebenzeller Mission im Alter von 23 Jahren
1936 (6. September)
- Ordinierung beim Herbstmissionsfest in Bad Liebenzell als Missionar für Chuuk (Südsee)
1936 (24. Dezember)
- Verlobung mit Elisabeth Wagner
1937 (2. Januar)
- Abschied von Mühlhausen (ohne seine Verlobte Elisabeth)
- Reise mit den Zug nach Genua
- mit dem Schiff von Genua nach Schanghai
- 4. März Ankunft auf Chuuk
Seine Verlobte Elisabeth reist später nach und erreichte erst am 28. Januar 1939 Cuuk.
1939
- am 3. Februar werden Wilhelm und Elisabeth kirchlich getraut
1939 - 1943
- gemeinsame Jahre auf den Mortlockinsel
1943 - 1946
- Arbeit auf Tonowas und Wutéét
1946 - 1952
- Arbeit auf Toon
1952-1959
- Heimataufenthalt und Wiederausreise
1959 - 1963
- Arbeit auf Chuuk (ohne Familie!)
1963 - 1968
- 2. Heimataufenthalt und 2. Wiederausreise
1969 - 1970
- die letzten Jahre auf Chuuk
1970 - 1993
- Lebensabend in Pforzheim-Eutingen
Lothar Käser:
Licht in der Südsee
Das Leben von Missionarinnen und Missionaren verläuft selten geradlinig und geruhsam. Wer Menschen mit den Inhalten der Bibel bekannt machen und sie zur Erkenntnis der Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus führen will, muss sich auf einiges gefasst machen. Kaum jemand kann sich vorstellen, was es für ihn bedeutet, den vertrauten europäisch-westlichen Kulturkreis zu verlassen und zu lernen, in einer fremden Gesellschaftsform zu leben, ihre Sprache und ihre so ganz anderen Denkformen zu lernen und sich damit zu identifizieren. Was Missionare dabei erleben, erfahren sie vielfach als Lebenserfüllung. Manchmal geraten sie dabei zwischen die Fronten der Weltpolitik. Dann passieren die unglaublichsten Dinge, wie die Lebensgeschichte des Liebenzeller Missionarsehepaars Wilhelm Friedrich und Elisabeth Kärcher zeigt.
Sie reisen in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach Chuuk in Mikronesien aus, eine Inselgruppe der Karolinen in der früheren deutschen Südsee. Als der zweite Weltkrieg ausbricht, wird die Familie von den Japanern interniert, überlebt auf geradezu wunderbare Weise mitten im Bombenhagel und baut danach unter schwierigsten Bedingungen und großen persönlichen Opfern eine völlig zerstörte Gemeindestruktur wieder auf, die dann in den siebziger Jahren als "Evangelical Church of Chuuk" (ECC) selbständig wurde.
Der Autor, Professor der Ethnologie, hat Wilhelm F. Kärcher und seine Frau persönlich gekannt und auf ihre Veranlassung hin mehrere Jahre als Lehrer und Bibelübersetzer auf Chuuk gearbeitet.
Sie reisen in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach Chuuk in Mikronesien aus, eine Inselgruppe der Karolinen in der früheren deutschen Südsee. Als der zweite Weltkrieg ausbricht, wird die Familie von den Japanern interniert, überlebt auf geradezu wunderbare Weise mitten im Bombenhagel und baut danach unter schwierigsten Bedingungen und großen persönlichen Opfern eine völlig zerstörte Gemeindestruktur wieder auf, die dann in den siebziger Jahren als "Evangelical Church of Chuuk" (ECC) selbständig wurde.
Der Autor, Professor der Ethnologie, hat Wilhelm F. Kärcher und seine Frau persönlich gekannt und auf ihre Veranlassung hin mehrere Jahre als Lehrer und Bibelübersetzer auf Chuuk gearbeitet.
Gebunden, 344 Seiten / 13,8 x 21,0 cm
Verlag der Liebenzeller Mission, 2006
www.liebenzell.org
ISBN 3-921113-88-1
ISBN-13 978-3-921113-88-2
"Licht in der Südsee" ist im Buchhandel und an den Büchertischen der Liebenzeller Gemeinschaften erhältlich.
Auszug aus Lothar Käser, Licht in der Südsee
Wilhelm Friedrich und Elisabeth Kärcher
Leben und Werk eines Liebenzeller Missionsehepaars
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Liebenzeller Mission, 75378 Bad Liebenzell
Heimat, Kindheit und Jugendzeit
(1907-1930)
Wilhelm Friedrich Kärcher, der seinen Namen, wie in den U.S.A. üblich, gewöhnlich mit Wilhelm F. Kärcher abkürzte und der in der Folge der Einfachheit halber Wilhelm genannt werden soll, wurde am 27. Januar 1907 in Mühlhausen an der Enz geboren, einem Ort im heutigen Baden-Württemberg, der mit seiner Geschichte und seinen Menschen einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Lebensweg des späteren Missionars ausgeübt hat.
Mühlhausen an der Enz, seine Geschichte und Gegenwart
Die Bewohner Mühlhausens nennen sich selbst "Mühlhäuser". Das ist in ihrer Muttersprache, dem Schwäbischen, nicht nur korrekt, sondern gehört sich auch so. Wenn sie im Folgenden als "Mühlhausener" bezeichnet werden, bedeutet das nichts weiter, als dass eine Regel des Schriftdeutschen eingehalten wird.
Mühlhausen gilt als eines der schönsten Dörfer in Württemberg. Die Enz, ein Nebenfluss des Neckars, die wenige Kilometer flussaufwärts bei Pforzheim den Nordschwarzwald verlassen hat, fließt von da an durch ein Tal mit steilen Hängen aus hellem Muschelkalk und bildet bei Mühlhausen eine enge Schlinge von großer landschaftlicher Schönheit.
Die Felshänge, die flussabwärts des Dorfs liegen, und das ausgeglichene Klima, das dort herrscht, schaffen gute Bedingungen für den Weinbau, der vermutlich durch Mönche schon vor sehr langer Zeit in der Gegend eingeführt worden ist. Die Erzeugnisse der Mühlhausener Winzer hatten sich früh einen Namen gemacht.
Mühlhausen, das wohl nach den zahlreichen Mühlen so genannt wurde, die der Fluss jahrhundertelang antrieb, ist ein sehr alter Ort. Im Jahr 892, also schon vor weit über 1000 Jahren, wird er in einer Urkunde als "Mulnhusa" erwähnt. Ungefähr um diese Zeit muss es gewesen sein, dass Mönche der damals noch heidnischen Bevölkerung des Enztals das Christentum brachten und die ersten Kirchen bauten.
Während des gesamten Mittelalters lebte die Bevölkerung unter wechselnden Herrschaften, litt unter den instabilen politischen Verhältnissen und wurde vor allem im Dreißigjährigen Krieg schwer heimgesucht. Bis weit in die frühe Neuzeit hinein waren die Bauern von Mühlhausen Leibeigene.
Auch unter der Herrschaft Napoleons wurden der Bevölkerung erhebliche Opfer abverlangt. Keiner der jungen Männer aus dem Dorf, die ab 1812 zur Teilnahme an seinem Feldzug gegen Russland gezwungen worden waren, kehrte in seine Heimat zurück.
Im Zusammenleben der Menschen galten in jenen Zeiten strenge Regelungen im Dorf. Vergnügungen wie Tanzen waren verboten, Würfel- und Kartenspiel, der Umgang mit schwarzer und weißer Magie unter Strafe gestellt. Fluchen ("Missbrauch des Namens Gottes") wurde als eine der Hauptursachen für göttliche Heimsuchungen ("Hunger, Teuerung, Pest, Krieg, Misswuchs und andere Plagen") angesehen. Auf vorsätzlicher Gotteslästerung stand gar die Todesstrafe.
Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg verursachten große Veränderungen in Mühlhausen. Die Mühle verlor ihre Bedeutung, nachdem 1920 das Gefälle der sieben Kilometer langen Enzschleife durch den Bau eines Stollens für ein Elektrizitätswerk nutzbar gemacht wurde und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung voranschritt.
Dieser Stollen bekam auch noch eine andere Funktion. Für die jungen Männer des Orts galt er als Mutprobe. Wer den engen, einhundertfünfunddreißig Meter langen Stollen bis zum Elektrizitätswerk durchschwommen hatte, galt von da an als gestandener Kerl.
Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein betrieben die Bauern im Dorf ihre Landwirtschaft in traditioneller Weise, das heißt in Handarbeit, mit Pferden und Rindern als Zugtieren. Nachbarschaftshilfe war eine Selbstverständlichkeit. Schon früher in der Geschichte des Dorfes hatte sich der Umstand fühlbar gemacht, dass die landwirtschaftlichen Flächen, die an die jüngere Generation vererbt wurden, nicht beliebig oft geteilt werden konnten. Die Höfe wurden immer kleiner, die Bauern immer ärmer. Weil man in der Regel zahlreiche Kinder hatte, konnte schließlich nur eines den Hof übernehmen. Die übrigen mussten ihren Lebensunterhalt anderwärts verdienen, die Söhne als Handwerker, Kaufleute oder als Knechte, die Töchter als Haushaltshilfen in städtischen Familien oder als Mägde auf anderen Bauernhöfen. Viele wanderten nach Amerika aus. Mit dem Beginn der Industrialisierung suchten die Männer Arbeit in den umliegenden Städten Vaihingen, Dürrmenz und Mühlacker.
Wichtige Autoritätspersonen im Dorf waren in diesen Zeiten der Bürgermeister, der Pfarrer und der Lehrer. Während der "Schultes" bis weit ins 20. Jahrhundert ein ortsansässiger Bauer sein konnte, brachten Pfarrer und Lehrer eine akademische Ausbildung mit, kamen von auswärts, sprachen kein Mühlhausener Schwäbisch und blieben deshalb eher Außenseiter, wenn auch hoch geachtet und respektiert.
Das kirchliche und geistliche Leben in Mühlhausen
Wie oben schon kurz erwähnt wurde, hatten Mönche vor etwa 1.000 Jahren damit begonnen, das Christentum in Süddeutschland zu verbreiten. Im Jahr 794 trat ein Mönch namens Alban in Erscheinung, später St. Alban genannt. Es könnte sein, dass er als Patron der ersten bekannten Kirche in Mühlhausen zu gelten hat, denn sie wurde "dem Albanus" geweiht.
Die Mühlhausener hatten diese Kirche möglicherweise schon vor der ersten Jahrtausendwende zu bauen begonnen. Ursprünglich war sie eine Wehrkirche, mit einer starken Mauer umgeben, hinter der die Einwohner in unruhigen Zeiten Schutz suchten.
Conrad Thumb von Neuburg, ein württembergischer Adliger, war ein Anhänger der Reformation und führte sie in Mühlhausen ein.
Im Lauf der Zeit wurden die Sitten strenger, der Religionsunterricht und der Gottesdienstbesuch an Sonn- und Feiertagen zur Pflicht erhoben. Wer dieser nicht nachkam, wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Die Kirchenstühle waren Privatbesitz. Sie mussten käuflich erworben werden. Das betraf vornehmlich die Frauen, die sich auf diese Weise einen ständigen Sitzplatz in der Kirche zulegten.
Etwa zeitgleich mit der Reformation wurde die Volksschule eingerichtet. Der Lehrer versah neben seiner Unterrichtstätigkeit das Amt des Mesners, und das bis ins Jahr 1899, wobei das Kirchenamt zunächst sein Hauptamt bildete. Zu seinen Pflichten gehörte es auch, die "Schulerbuben" beim Gottesdienst "in Zucht und Ordnung zu halten". In der Winterzeit waren Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu einhundertzwanzig Kinder täglich sechs, im Sommer vier Stunden lang zu unterrichten. Fähige Kinder lernten über den vorgeschriebenen Lernstoff hinaus "noch 100 Gesänge und 30 bis 40 Psalmen" auswendig.
Mühlhausen hatte im Lauf der Zeit einige prominente Pfarrer. Unter ihnen ist der Liederdichter Philipp Friedrich Hiller der bekannteste. Er wurde am 9. Januar 1699 hier geboren und war von 1736 bis 1748 Pfarrer in seinem Geburtsort, wo schon sein Vater dieses Amt versehen hatte. Viele seiner Lieder fanden Eingang in Generationen von Gesangbüchern. Sein "Liederkästlein" erlebte bis in die Gegenwart hinein immer wieder Neuauflagen.
In der Person Philipp Friedrich Hillers war Mühlhausen im Besonderen vom württembergischen Pietismus geprägt worden. Im Rahmen dieser geistlichen Bewegung nun sollte für die Familie Kärcher und für den Lebensweg von Wilhelm ein Ereignis bedeutsam werden, das kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert in Norddeutschland seinen Anfang genommen hatte und dann in Süddeutschland seine Fortsetzung fand ....
Was Schwaben in der Südsee essen
Eines Tages macht Elisabeth eine der Dosen auf, die auf der Reise von Europa unbeschädigt geblieben waren. Sie vermutet Bohnen darin. Zu ihrem Erstaunen kommt Fleisch zum Vorschein. Das freut Wilhelm ungemein, und er wünscht sich auf der Stelle weitere "geschickte Fehler" dieser Art von seiner Frau. Als sie daraufhin auch noch Sauerkraut dazu macht, ist sein Glück vollkommen. Er fühlt sich kinamwmwe, wie die Insulaner sagen würden, preist und lobt seine neue deutsche Verwandtschaft aus Waltenhofen "in allen Tonarten", die solche unerwarteten und edlen Genüsse in die Kisten gepackt hatte, wie Elisabeth daraufhin in einem Brief schreibt.
Beim Spätzlemachen scheint sie ebenfalls sehr erfolgreich zu sein, nachdem er sechs Wochen darauf gewartet hat. Es gibt aber auch Misserfolge, mit denen er nicht so zufrieden ist: "Mein letztes Brot wurde nichts, da ich eine andere Hefe ausprobierte. Da meinte er, jetzt können wir bald eine Backsteinfabrikation aufmachen."
Hin und wieder bringen die Insulaner Brotfrucht. Diese kann man wie Kartoffeln kochen, braten, und frittieren. Es lässt sich sogar etwas daraus machen, was schwäbischem Kartoffelsalat nicht nur täuschend ähnlich schmeckt, sondern diesen qualitätsmäßig auch erheblich übertrifft.
Missionarserlebnisse
Im Juni 1939 sehen wir die beiden in vielseitiger Weise beschäftigt und erste gemeinsame Erfahrungen im Umgang mit den Insulanern sammelnd. Sie halten zwei bis drei Versammlungen am Tag, wenn sie eine der Inseln des Mortlockdistrikts besuchen, geben Schulunterricht und Singstunden, und sie leisten medizinische Hilfe. In den Siedlungen gibt es immer viele Kranke, besonders solche mit Hautausschlägen. Wilhelm betätigt sich vornehmlich auf dem Gebiet der Zahnheilkunde und kommentiert das mit den Worten: "Auch das Zähneziehen macht mir Freude, jedoch den Patienten nicht so sehr. Nachher sind sie mir allerdings dankbar."
Schwer gewöhnungsbedürftig sind Begräbnisse mit ihren Totenklagen. Das ist ein ritualisiertes Verhalten, das Europäer als sehr bedrückend empfinden, auch Elisabeth und Wilhelm, vor allem, wenn es die ganze Nacht hindurch andauert. Wer so eine Totenklage zum ersten Mal hört, findet sie schauerlich. Zum Ritual gehören darüber hinaus eine ganze Reihe von Regelungen, die für Christen eigentlich keine Gültigkeit haben können: den Toten werden Speisen und andere Opfergaben aufs Grab gelegt. Auch ein Licht muss dort brennen. Wilhelm und Elisabeth sind solche Verhaltensweisen ein Grund zur Besorgnis.
In einem Haus entdeckt er eines Tages Dinge, die von einem Hausbalken herabhängen. Sie entpuppen sich als sogenannter Leichtmachzauber. Die Insulaner glauben, dass mit dessen Hilfe ein Auslegerkanu besseren Auftrieb bekommt und nicht so schnell sinken kann.
Was soll der Missionar in einer solchen Situation tun? ...
Schwierig wird es gelegentlich, wenn eine Besuchsreise mit einem Boot der japanischen Administration gemacht werden muss, dessen Besatzung sturzbetrunken unterwegs ist. Eines Tages kommt es beinahe zu einem schweren Unglück. Steuermann und Maschinist können gerade noch verhindern, dass ihr Boot mit voller Wucht in die Aufbauten der Anlegestelle kracht.
Auf Mwóóch, einer kleinen Insel in der benachbarten Lagune von Satawan, erleben die beiden zum ersten Mal eine einheimische Trauung mit. Am darauffolgenden Tag schon muss der junge Ehemann die Insel verlassen. Der Grund: Dienstverpflichtung nach Angaur, einer Insel im Palau-Distrikt, wo die japanische Verwaltung Mikronesiens Bodenschätze abbauen lässt. Dort wird er arbeiten müssen und wegen der Entfernung seine Frau für lange Zeit nicht sehen dürfen. Wilhelm und Elisabeth werden Zeugen eines schweren Abschieds.
Die Insulaner nehmen die Fremden und ihr Verhalten manchmal in bizarr verformter Weise wahr. Eines Tages will der Häuptling wissen, warum Wilhelm eigentlich eine so alte Frau geheiratet habe, wo er selbst doch noch so jung sei. Der Grund für die Verwunderung ist die Tatsache, dass Elisabeth eine Brille trägt, und die ist für den Häuptling ein Zeichen vorgerückten Alters.
Das Leben auf den Mortlockinseln kann sehr anstrengend sein. Auf einer Reise nach Ettaal, einem Atoll nordwestlich von Lúkúnooch, ist Elisabeth zwei Stunden lang schwer seekrank. Ihr Mann trägt sie das letzte Stück durchs Wasser an Land. ...
Die Freundlichkeiten, die ihnen die Insulaner erweisen, haben ihren eigenen Stil. Nach einer Versammlung am Nachmittag kommt eine ältere Frau auf sie zu, zieht einen Fisch aus ihrem Rock und überreicht ihn als niffang (Geschenk), das Elisabeth zu der Bemerkung veranlasst: "Den Fisch hatte sie schon während der ganzen Versammlung dort gehabt, und er war dann dementsprechend auch schon vorgewärmt. Guten Appetit!"
(1907-1930)
Wilhelm Friedrich Kärcher, der seinen Namen, wie in den U.S.A. üblich, gewöhnlich mit Wilhelm F. Kärcher abkürzte und der in der Folge der Einfachheit halber Wilhelm genannt werden soll, wurde am 27. Januar 1907 in Mühlhausen an der Enz geboren, einem Ort im heutigen Baden-Württemberg, der mit seiner Geschichte und seinen Menschen einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Lebensweg des späteren Missionars ausgeübt hat.
Mühlhausen an der Enz, seine Geschichte und Gegenwart
Die Bewohner Mühlhausens nennen sich selbst "Mühlhäuser". Das ist in ihrer Muttersprache, dem Schwäbischen, nicht nur korrekt, sondern gehört sich auch so. Wenn sie im Folgenden als "Mühlhausener" bezeichnet werden, bedeutet das nichts weiter, als dass eine Regel des Schriftdeutschen eingehalten wird.
Mühlhausen gilt als eines der schönsten Dörfer in Württemberg. Die Enz, ein Nebenfluss des Neckars, die wenige Kilometer flussaufwärts bei Pforzheim den Nordschwarzwald verlassen hat, fließt von da an durch ein Tal mit steilen Hängen aus hellem Muschelkalk und bildet bei Mühlhausen eine enge Schlinge von großer landschaftlicher Schönheit.
Die Felshänge, die flussabwärts des Dorfs liegen, und das ausgeglichene Klima, das dort herrscht, schaffen gute Bedingungen für den Weinbau, der vermutlich durch Mönche schon vor sehr langer Zeit in der Gegend eingeführt worden ist. Die Erzeugnisse der Mühlhausener Winzer hatten sich früh einen Namen gemacht.
Mühlhausen, das wohl nach den zahlreichen Mühlen so genannt wurde, die der Fluss jahrhundertelang antrieb, ist ein sehr alter Ort. Im Jahr 892, also schon vor weit über 1000 Jahren, wird er in einer Urkunde als "Mulnhusa" erwähnt. Ungefähr um diese Zeit muss es gewesen sein, dass Mönche der damals noch heidnischen Bevölkerung des Enztals das Christentum brachten und die ersten Kirchen bauten.
Während des gesamten Mittelalters lebte die Bevölkerung unter wechselnden Herrschaften, litt unter den instabilen politischen Verhältnissen und wurde vor allem im Dreißigjährigen Krieg schwer heimgesucht. Bis weit in die frühe Neuzeit hinein waren die Bauern von Mühlhausen Leibeigene.
Auch unter der Herrschaft Napoleons wurden der Bevölkerung erhebliche Opfer abverlangt. Keiner der jungen Männer aus dem Dorf, die ab 1812 zur Teilnahme an seinem Feldzug gegen Russland gezwungen worden waren, kehrte in seine Heimat zurück.
Im Zusammenleben der Menschen galten in jenen Zeiten strenge Regelungen im Dorf. Vergnügungen wie Tanzen waren verboten, Würfel- und Kartenspiel, der Umgang mit schwarzer und weißer Magie unter Strafe gestellt. Fluchen ("Missbrauch des Namens Gottes") wurde als eine der Hauptursachen für göttliche Heimsuchungen ("Hunger, Teuerung, Pest, Krieg, Misswuchs und andere Plagen") angesehen. Auf vorsätzlicher Gotteslästerung stand gar die Todesstrafe.
Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg verursachten große Veränderungen in Mühlhausen. Die Mühle verlor ihre Bedeutung, nachdem 1920 das Gefälle der sieben Kilometer langen Enzschleife durch den Bau eines Stollens für ein Elektrizitätswerk nutzbar gemacht wurde und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung voranschritt.
Dieser Stollen bekam auch noch eine andere Funktion. Für die jungen Männer des Orts galt er als Mutprobe. Wer den engen, einhundertfünfunddreißig Meter langen Stollen bis zum Elektrizitätswerk durchschwommen hatte, galt von da an als gestandener Kerl.
Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein betrieben die Bauern im Dorf ihre Landwirtschaft in traditioneller Weise, das heißt in Handarbeit, mit Pferden und Rindern als Zugtieren. Nachbarschaftshilfe war eine Selbstverständlichkeit. Schon früher in der Geschichte des Dorfes hatte sich der Umstand fühlbar gemacht, dass die landwirtschaftlichen Flächen, die an die jüngere Generation vererbt wurden, nicht beliebig oft geteilt werden konnten. Die Höfe wurden immer kleiner, die Bauern immer ärmer. Weil man in der Regel zahlreiche Kinder hatte, konnte schließlich nur eines den Hof übernehmen. Die übrigen mussten ihren Lebensunterhalt anderwärts verdienen, die Söhne als Handwerker, Kaufleute oder als Knechte, die Töchter als Haushaltshilfen in städtischen Familien oder als Mägde auf anderen Bauernhöfen. Viele wanderten nach Amerika aus. Mit dem Beginn der Industrialisierung suchten die Männer Arbeit in den umliegenden Städten Vaihingen, Dürrmenz und Mühlacker.
Wichtige Autoritätspersonen im Dorf waren in diesen Zeiten der Bürgermeister, der Pfarrer und der Lehrer. Während der "Schultes" bis weit ins 20. Jahrhundert ein ortsansässiger Bauer sein konnte, brachten Pfarrer und Lehrer eine akademische Ausbildung mit, kamen von auswärts, sprachen kein Mühlhausener Schwäbisch und blieben deshalb eher Außenseiter, wenn auch hoch geachtet und respektiert.
Das kirchliche und geistliche Leben in Mühlhausen
Wie oben schon kurz erwähnt wurde, hatten Mönche vor etwa 1.000 Jahren damit begonnen, das Christentum in Süddeutschland zu verbreiten. Im Jahr 794 trat ein Mönch namens Alban in Erscheinung, später St. Alban genannt. Es könnte sein, dass er als Patron der ersten bekannten Kirche in Mühlhausen zu gelten hat, denn sie wurde "dem Albanus" geweiht.
Die Mühlhausener hatten diese Kirche möglicherweise schon vor der ersten Jahrtausendwende zu bauen begonnen. Ursprünglich war sie eine Wehrkirche, mit einer starken Mauer umgeben, hinter der die Einwohner in unruhigen Zeiten Schutz suchten.
Conrad Thumb von Neuburg, ein württembergischer Adliger, war ein Anhänger der Reformation und führte sie in Mühlhausen ein.
Im Lauf der Zeit wurden die Sitten strenger, der Religionsunterricht und der Gottesdienstbesuch an Sonn- und Feiertagen zur Pflicht erhoben. Wer dieser nicht nachkam, wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Die Kirchenstühle waren Privatbesitz. Sie mussten käuflich erworben werden. Das betraf vornehmlich die Frauen, die sich auf diese Weise einen ständigen Sitzplatz in der Kirche zulegten.
Etwa zeitgleich mit der Reformation wurde die Volksschule eingerichtet. Der Lehrer versah neben seiner Unterrichtstätigkeit das Amt des Mesners, und das bis ins Jahr 1899, wobei das Kirchenamt zunächst sein Hauptamt bildete. Zu seinen Pflichten gehörte es auch, die "Schulerbuben" beim Gottesdienst "in Zucht und Ordnung zu halten". In der Winterzeit waren Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu einhundertzwanzig Kinder täglich sechs, im Sommer vier Stunden lang zu unterrichten. Fähige Kinder lernten über den vorgeschriebenen Lernstoff hinaus "noch 100 Gesänge und 30 bis 40 Psalmen" auswendig.
Mühlhausen hatte im Lauf der Zeit einige prominente Pfarrer. Unter ihnen ist der Liederdichter Philipp Friedrich Hiller der bekannteste. Er wurde am 9. Januar 1699 hier geboren und war von 1736 bis 1748 Pfarrer in seinem Geburtsort, wo schon sein Vater dieses Amt versehen hatte. Viele seiner Lieder fanden Eingang in Generationen von Gesangbüchern. Sein "Liederkästlein" erlebte bis in die Gegenwart hinein immer wieder Neuauflagen.
In der Person Philipp Friedrich Hillers war Mühlhausen im Besonderen vom württembergischen Pietismus geprägt worden. Im Rahmen dieser geistlichen Bewegung nun sollte für die Familie Kärcher und für den Lebensweg von Wilhelm ein Ereignis bedeutsam werden, das kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert in Norddeutschland seinen Anfang genommen hatte und dann in Süddeutschland seine Fortsetzung fand ....
Was Schwaben in der Südsee essen
Eines Tages macht Elisabeth eine der Dosen auf, die auf der Reise von Europa unbeschädigt geblieben waren. Sie vermutet Bohnen darin. Zu ihrem Erstaunen kommt Fleisch zum Vorschein. Das freut Wilhelm ungemein, und er wünscht sich auf der Stelle weitere "geschickte Fehler" dieser Art von seiner Frau. Als sie daraufhin auch noch Sauerkraut dazu macht, ist sein Glück vollkommen. Er fühlt sich kinamwmwe, wie die Insulaner sagen würden, preist und lobt seine neue deutsche Verwandtschaft aus Waltenhofen "in allen Tonarten", die solche unerwarteten und edlen Genüsse in die Kisten gepackt hatte, wie Elisabeth daraufhin in einem Brief schreibt.
Beim Spätzlemachen scheint sie ebenfalls sehr erfolgreich zu sein, nachdem er sechs Wochen darauf gewartet hat. Es gibt aber auch Misserfolge, mit denen er nicht so zufrieden ist: "Mein letztes Brot wurde nichts, da ich eine andere Hefe ausprobierte. Da meinte er, jetzt können wir bald eine Backsteinfabrikation aufmachen."
Hin und wieder bringen die Insulaner Brotfrucht. Diese kann man wie Kartoffeln kochen, braten, und frittieren. Es lässt sich sogar etwas daraus machen, was schwäbischem Kartoffelsalat nicht nur täuschend ähnlich schmeckt, sondern diesen qualitätsmäßig auch erheblich übertrifft.
Missionarserlebnisse
Im Juni 1939 sehen wir die beiden in vielseitiger Weise beschäftigt und erste gemeinsame Erfahrungen im Umgang mit den Insulanern sammelnd. Sie halten zwei bis drei Versammlungen am Tag, wenn sie eine der Inseln des Mortlockdistrikts besuchen, geben Schulunterricht und Singstunden, und sie leisten medizinische Hilfe. In den Siedlungen gibt es immer viele Kranke, besonders solche mit Hautausschlägen. Wilhelm betätigt sich vornehmlich auf dem Gebiet der Zahnheilkunde und kommentiert das mit den Worten: "Auch das Zähneziehen macht mir Freude, jedoch den Patienten nicht so sehr. Nachher sind sie mir allerdings dankbar."
Schwer gewöhnungsbedürftig sind Begräbnisse mit ihren Totenklagen. Das ist ein ritualisiertes Verhalten, das Europäer als sehr bedrückend empfinden, auch Elisabeth und Wilhelm, vor allem, wenn es die ganze Nacht hindurch andauert. Wer so eine Totenklage zum ersten Mal hört, findet sie schauerlich. Zum Ritual gehören darüber hinaus eine ganze Reihe von Regelungen, die für Christen eigentlich keine Gültigkeit haben können: den Toten werden Speisen und andere Opfergaben aufs Grab gelegt. Auch ein Licht muss dort brennen. Wilhelm und Elisabeth sind solche Verhaltensweisen ein Grund zur Besorgnis.
In einem Haus entdeckt er eines Tages Dinge, die von einem Hausbalken herabhängen. Sie entpuppen sich als sogenannter Leichtmachzauber. Die Insulaner glauben, dass mit dessen Hilfe ein Auslegerkanu besseren Auftrieb bekommt und nicht so schnell sinken kann.
Was soll der Missionar in einer solchen Situation tun? ...
Schwierig wird es gelegentlich, wenn eine Besuchsreise mit einem Boot der japanischen Administration gemacht werden muss, dessen Besatzung sturzbetrunken unterwegs ist. Eines Tages kommt es beinahe zu einem schweren Unglück. Steuermann und Maschinist können gerade noch verhindern, dass ihr Boot mit voller Wucht in die Aufbauten der Anlegestelle kracht.
Auf Mwóóch, einer kleinen Insel in der benachbarten Lagune von Satawan, erleben die beiden zum ersten Mal eine einheimische Trauung mit. Am darauffolgenden Tag schon muss der junge Ehemann die Insel verlassen. Der Grund: Dienstverpflichtung nach Angaur, einer Insel im Palau-Distrikt, wo die japanische Verwaltung Mikronesiens Bodenschätze abbauen lässt. Dort wird er arbeiten müssen und wegen der Entfernung seine Frau für lange Zeit nicht sehen dürfen. Wilhelm und Elisabeth werden Zeugen eines schweren Abschieds.
Die Insulaner nehmen die Fremden und ihr Verhalten manchmal in bizarr verformter Weise wahr. Eines Tages will der Häuptling wissen, warum Wilhelm eigentlich eine so alte Frau geheiratet habe, wo er selbst doch noch so jung sei. Der Grund für die Verwunderung ist die Tatsache, dass Elisabeth eine Brille trägt, und die ist für den Häuptling ein Zeichen vorgerückten Alters.
Das Leben auf den Mortlockinseln kann sehr anstrengend sein. Auf einer Reise nach Ettaal, einem Atoll nordwestlich von Lúkúnooch, ist Elisabeth zwei Stunden lang schwer seekrank. Ihr Mann trägt sie das letzte Stück durchs Wasser an Land. ...
Die Freundlichkeiten, die ihnen die Insulaner erweisen, haben ihren eigenen Stil. Nach einer Versammlung am Nachmittag kommt eine ältere Frau auf sie zu, zieht einen Fisch aus ihrem Rock und überreicht ihn als niffang (Geschenk), das Elisabeth zu der Bemerkung veranlasst: "Den Fisch hatte sie schon während der ganzen Versammlung dort gehabt, und er war dann dementsprechend auch schon vorgewärmt. Guten Appetit!"